Gender - ein epistemisches Ding / Gender - une « chose » épistémique

par Astrid Deuber-Mankowsky

Université de Bochum, Allemagne

Fakultät für Philologie
Institut für Medienwissenschaft

Prof. Dr. Astrid Deuber-Mankowsky
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Résumé (Traduction française d'Alice Pechriggl)

La problématisation du genre et de sa relation avec les sciences de l'homme d'un côté, les sciences exactes de l'autre ; le lien entre sexe et genre, l'élucidation de l'historicité de cette différenciation ; les recherches sur l'intersexualité, la transsexualité et sur leurs interactions avec les technologies médicales ou l'histoire de l'endocrinologie ; les changements des relations des sexes/genres et des relations familiales à travers les technologies de procréation : toutes ces thématiques ont été focalisées pendant les dernières années par les gender studies. A travers les thématiques en question ces études sont devenues une « tentative » pour les étudiants qui constitue, pour citer Michel Foucault, une mise à l'épreuve changeante d'eux-mêmes. Le sexe/genre (Geschlecht) devient une chose épistémique, un objet du savoir, le savoir devenant un objet de désir et la connaissance un exercice de soi-même.

En Allemagne, de plus en plus de projets de recherche sur le genre sont en train d'être développés et institutionnalisés. L'Ecole doctorale « Genre comme catégorie épistémique », issue du cursus en maîtrise « gender studies / Geschlechterstudien » à l'université Humboldt à Berlin, en constitue un exemple fameux. Quelles sont les conséquences de cette orientation épistémologique des gender studies pour les recherches transdisciplinaires ? Quelle est sa signification concernant leur relation avec les sciences sociales qui continuent à supposer un modèle binaire du genre ? Comment se présente la relation entre une orientation épistémologique des gender studies et les programmes politiques comme le gender mainstreaming ?


Zusammenfassung

Die Problematisierung des Geschlechts und seines Verhältnisses zu den Wissenschaften des Menschen auf der einen und den Naturwissenschaften auf der anderen Seite, die Beziehung von Sex und Gender, die Erkenntnis der Historizität dieser Unterscheidung, die Beschäftigung mit Intersexualität, Transsexualität und deren Verbindung zu medizinischen Technologien und der Geschichte der Endokrinologe, die Veränderungen der Geschlechter - und Familienverhältnisse durch die Reproduktionstechnologien - alle diese in den letzten Jahren in den Fokus der Gender Studies gerückten Themen lassen das Studium der Gender Studies für viele Studierende zu einem "Versuch" werden, der, um Michel Foucault zu zitieren, eine "verändernde Erprobung seiner/ihrer selber ist". Das Geschlecht wird zu einem epistemischen Ding, einem Objekt des Wissens, das Wissen zum Objekt des Begehrens und die Erkenntnis zur Übung seiner selbst.

So werden in Deutschland zunehmend Forschungsprojekte zum Thema Geschlecht und Wissen eingerichtet und entwickelt. Ein prominentes Beispiel ist das aus dem Magisterstudiengang "Gender Studies/ Geschlechterstudien" an der Humboldt-Universität zu Berlin hervorgegangene Graduiertenkolleg "Geschlecht als Wissenskategorie". Welche Konsequenzen hat diese epistemologische Ausrichtung der Gender Studies für die transdisziplinäre Forschung ? Welche Bedeutung hat sie für das Verhältnis zu empirisch- sozialwissenschaftlichen Studien, die nach wie vor von einem Zweigeschlechtermodell ausgehen? Wie gestaltet sich das Verhältnis der epistemologisch ausgerichteten Gender Studies zu politischen Programmen wie Gender Mainstreaming ?




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Gender Mainstreaming

1999 wurde die US-amerikanische Historikerin und Philosophin Joan W. Scott mit dem Hans-Sigrist-Preis der Universität Bern für Gender Studies ausgezeichnet. Zu diesem An-lass hielt sie eine bemerkenswerte Preisrede mit dem Titel "Die Zukunft von gender. Phantasien zur Jahrtausendwende" 1. Statt die Geschichte der Kategorie gender als Erfolgsge-schichte zu präsentieren, hielt Scott einen kritischen Rückblick und bezweifelte, ob gender als kritische Analysekategorie überhaupt eine Zukunft habe. Und dies, obwohl 'gender' innerhalb kurzer Zeit zum zentralen Begriff einer Bewegung in der Wissenschaftsforschung am Ende des 20. Jahrhunderts geworden war, und obwohl Scott selbst durch ihren methodologischen Aufsatz "Gender: A Useful Category of Histo-rical Analysis" aus dem Jahr 1986 dazu beigetragen hatte. Was brachte Joan W. Scott dazu, die Preisrede als Anlass für eine Abrechnung mit der Geschichte des Begriffs gender zu benutzen?

1999 hat die EU mit der Verabschiedung des Amsterdamer Vertrags ihre Mitglied-staaten dazu aufgefordert, im Rahmen des "Gender Mainstreaming" die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern. Die Bundesrepublik setzte diese Forderung im Jahr 2002 mit der Erklärung des "Gender Mainstreaming" zum Regierungsprogramm um. Dies ist auf den ersten Blick ein politischer Erfolg, erweist sich bei genauerer Betrachtung je-doch als sehr zweischneidig und bei dieser Zweischneidigkeit setzt Scotts Kritik an.

Mit der Einbindung der Kategorie gender in das Regierungsprogramm "Gender Mainstreaming" geht eine Bedeutungsverschiebung einher, in deren Verlauf sich gender aus einer kritischen Analysekategorie in ein Synonym für "Männer" und/oder "Frauen" zu verwandeln droht. Der Begriff gender, im Kontext wissenschaftskritischer Studien als eine Kate-gorie eingesetzt, die dazu beitragen sollte, die Naturalisierung der kulturell konstituierten Geschlechtsidentitäten zu dekonstruieren, wird zu einem Synonym für Geschlechtsidenti-tät! Damit droht der Begriff, seine kritische Potenz zu verlieren. Ich möchte zur Illustrie-rung der genannten Bedeutungsverschiebung eine Erklärung zitieren, die auf der offiziel-len Homepage der EU der Einführung in das Programm des "Gender Mainstreaming" vorange-stellt ist:

"Die Maßnahmen zur Gleichstellung erfordern ein ehrgeiziges Konzept, das von der Anerkennung der weiblichen und der männlichen Identität sowie der Bereitschaft zu einer ausgewogenen Tei-lung der Verantwortung zwischen Frauen und Männern ausgehen muss." 2

"Gender Mainstreaming" präsentiert sich damit als ein Programm, das mit der ausgewo-genen Teilung der Verantwortung nicht nur die Geschlechterteilung, sondern auch die Vorstellung einer bestimmtenweiblichen und männlichen Geschlechteridentität perpe-tuiert. Joan W. Scott sah diese Entwicklung bereits aus der Formulierung des "Gender Mainstreaming" Konzepts voraus, wie es während der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 verabschiedet wurde. Treffend beschrieb sie das Programm in der Hauptsache als eine Aufforderung, "Statistiken und statistische Prognosen nach Geschlecht aufzuschlüs-seln" 3. In den ca. 2000 Nennungen des Begriffs im Aktionsprogramm von Peking sei der Begriff gender in den meisten Fällen einfach als Ersatz für "Frau" 4 verwandt worden.


Gender-Manifest

Wie genau Scott die Zukunft von gender im Hinblick auf die Konsequenzen eines Regierungsprogramms "Gender Mainstreaming" voraussah, wird durch die Veröffentlichung eines Gender-Manifests bestätigt, dass im Januar 2006 in Kooperation zwischen dem genderbüro Berlin und dem GenderForum Berlin entstand 5. In diesem Manifest, das von sechs GenderexpertInnen verfasst wurde, die zum großen Teil selbst in der Gender-Praxis, also der Gender-Beratung und Gender-Fortbildung tätig sind, formulieren die AutorInnen ihre Beunruhigung angesichts der Beobachtung, dass im Bereich von Gender-Training und Gender-Beratung Geschlechterkonzepte dominieren, welche die aktuelle heteronormative Ordnung der Geschlechter reproduzieren statt verändern. Häufig würden die Bezeichnungen "Frauen" oder "Männer" einfach ersetzt durch das populär gewordene "gender". Des Weiteren stellen sie fest, dass Gender Mainstreaming zunehmend als "neoliberale Reorganisationsstrategie zur Optimierung ?geschlechterspezifischer Humanressourcen'" interpretiert werde. Gender diene als Analysekategorie, um Geschlechterunterschiede - zumeist mithilfe statistischer Verfahren - mit dem Ziel zu diagnostizieren, eine vermeintliche Geschlechtsneutralität zu widerlegen. Beunruhigend finden die VerfasserInnen des Manifestes, dass dabei zugleich Unterschiede innerhalb der "Genustypen" ausgeblendet und eine Homogenisierung von Männern und Frauen stattfinde. Das Fazit ist ernüchternd.


Gender - ein epistemisches Ding

Hatte Scott recht, als sie, "gegen einen breiten feministischen Konsens", zum Schluss kam, "gender sei vielleicht nicht mehr die nützliche Kategorie, die sie einmal war - nicht, weil der Feind die Oberhand gewonnen hätte, sondern weil diese Kategorie die jetzt anstehende Arbeit nicht zu leisten vermag". 6

Die VerfasserInnen des Gender-Manifests würden ihr nicht zustimmen. Sie plädieren stattdessen für eine Praxis, die sie mit Judith Lorber eine Praxis des "Using Gender to undo Gender nennen". Dazu reicht es freilich nicht, dass statt eine Geschlechterzweiheit eine Geschlechtervielfalt gefordert wird. Vielmehr ist zu einer Praxis des "Using Gender to undo Gender", wie die Verfasserinnen des Manifests ihrerseits unterstreichen, die Benennung der Konstruktionen von Zweigeschlechtlichkeit, das historische, kulturelle und politische Gewordensein und, wie ich hinzufügen würde, die Entstehungsgeschichte der Kategorie gender und der Unterscheidung von gender und sex aus der Geschichte des Wissens, konkret der modernen Biowissenschaften nachzuzeichnen. Mit der Praxis des "Using Gender to undo Gender" schlagen die AutorInnen des Gender-Manifests zugleich eine Brücke von der Gender-Praxis zur wissenschaftlichen Forschung im Bereich Gender Studies, die in Deutschland, in der Schweiz und auch in Österreich immer mehr in Richtung der Problematisierung des Verhältnisses der Kategorie gender und der Geschichte der Wissenschaften und des Wissens geht. An dieser Brücke wird auch von der Seite der Institutionalisierung der Gender Studies in BA- und MA-Programmen gebaut. So stellt das Studium der Gender Studies, indem es die bio- und kulturwissenschaftlichen Wissenspraktiken und lebensalltäglicher Erfahrungen thematisiert, für die Studierenden einen Ort dar, an dem sie neue Erfahrungen im Denken und in der Selbstwahrnehmung machen. In diesem Sinn antwortete ein Student des im WS 2005/6 an der Ruhr-Universität Bochum eröffneten MA Gender Studies. Kultur - Kommunikation - Gesellschaft, was es für ihn bedeute, Gender Studies zu studieren in einer e-Mail folgendermaßen:

"In allen Lebensbereichen prägt gender das Selbstbild von Personen genau so, wie die Form ihres Umgangs mit anderen Menschen. Als Fundamentalkategorie wirkt es sowohl auf die Konstruktion persönlicher Identitäten, als auch in Form einer Strukturdeterminante, anhand derer sich Gesellschaft organisiert.

Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen gender könnte also dabei helfen, die Perspektive des unmittelbaren Alltags zu ergänzen, um so zu einem umfassenderen Verständnis seiner Einflussbereiche und Wirkungsmechanismen zu gelangen. Diese Verschränkung von wissenschaftlicher Abstraktion und der alltäglichen Präsenz persönlicher Erfahrungen machen Gender Studies für mich so interessant.

Der große Einflussbereich, den die Kategorie Geschlecht innerhalb der Gesellschaft abdeckt, erfordert einen interdisziplinären Analyseansatz, sodass die vielfältigen Formen der Annäherung - beispielsweise aus philosophischer, soziologischer oder auch kunsthistorischer Perspektive - einen weiteren Anreiz für Menschen mit einem breiten Spektrum an Interessen darstellen können.

Auch die Verknüpfung mit aktuellen Debatten ( demographischer Wandel, Organisation des Arbeitsmarktes, etc. ) sowie die Aufhebung sozialer Ungleichheit und der Ausblick auf zukünftige Gesellschaftliche Entwicklungen als mögliche Konsequenzen eines innovativen Forschungs-Diskurses sind Gründe meiner Begeisterung für Gender-Studies."

Wenn ich Gender als "epistemisches Ding" - als eine Frage des Wissens - bezeichne, und zugleich sage, dass die Studierenden der Gender Studies ihr Studium im Sinne von Michel Foucault als eine Erfahrung, als eine Übung ihrer selbst verstehen, so ist das zugleich beschreibend und programmatisch gemeint.


Forschung entlang der Kategorie gender

Die Unterscheidung eines kulturellen Geschlechts (gender) und eines biologischen Ge-schlechts (sex) wurde Anfang der siebziger Jahre in die feministische Wissenschaftskritik eingeführt 7. Sie war keine feministische Erfindung, sondern aus der medizinischen Endokri-nologie und der Psychoanalyse entlehnt worden 8. In ihrem methodologischen Artikel "The Traffic in Women" aus dem Jahr 1975 hatte die Anthropologin Gayle Rubin den Begriff gender in das weiter gefasste "sex-gender/System" eingebunden und damit ein Fundament zur Entwicklung der Gender Studies gelegt. In Ermangelung eines "elegante-ren Ausdrucks" hatte Rubin, wie sie schreibt, auf das Begriffspaar sex/gender zurückge-griffen, um "die Vorkehrungen, durch die ein Gesellschaftssystem biologische Ge-schlechtlichkeit in Produkte menschlicher Aktivität transformiert und innerhalb deren diese transformierte Sexualbedürfnisse befriedigt werden", das sex-gender/System" 9 zu nen-nen.

Die Ausgangspunkte ihrer Analysen bildeten zum einen Claude Levi-Strauss' These, welche den Ursprung der Kultur im Frauentausch vermutete, und zum anderen Freuds psychoanalytische Theorie, welche die Frage nach der Geschlechtsidentität mit der Inter-nalisierung der symbolischen Ordnung verband. Beide - sowohl die strukturalistische Anthropologie als auch die Psychoanalyse - basierten auf der Annahme eines immanenten Zusammenhangs zwischen der Herausbildung der Differenz zwischen Kultur und Natur und der Differenz der Geschlechter. Während jedoch sowohl Strauss wie auch Freud die Geschlechterdifferenz - im Unterschied zur Differenz Natur/Kultur - als naturgegeben voraussetzten und die Entstehung der Kultur selbst aus der ver-meintlich naturgegebenen Geschlechterdifferenz erklärten, führte Rubin das sex-gender System ein, um die kulturellen Ursprünge der so gedeuteten Geschlechterdifferenz aufzu-decken. Das Motiv war, die kulturelle Bedingtheit der angeblichen "Natürlichkeit" der Geschlechterhierarchie nachzuweisen. In Rubins epistemologischen Überlegungen wurde das sex-gender/System zu einem Schlüssel, um das Funktionieren der sexuellen Unter-drückung zu rekonstruieren und zu kritisieren. Sie verband die Einführung des sex-gen-der/Systems mit dem Traum

"einer androgynen Gesellschaft ohne soziale Geschlechter und Geschlechtsidentitäten (nicht aber ohne geschlechtliche Differenz), in welcher die geschlechtliche Anatomie weder die Identität noch das Handeln, noch die Sexualität der Einzelnen bestimmt". 10

Die kritische Kraft der Kategorie gender entsprang daraus, dass die Kritik der gesell-schaftlichen Machtverhältnisse verbunden wurde mit der wissenschaftskritischen Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Genealogie des wissenschaftlichen Wissens, der Grenze zwischen Natur und Kultur und der Grenze zwischen den Ge-schlechtern. Damit führte die Forschung entlang der Kategorie gender immer tiefer in die Fragen nach dem Verhältnis von Wissen und Körper, Sprache und Welt, von Natur und Geschichte, Media-lität und Materialität, Natur und Kultur. Da Gender Studies transdis-ziplinär angelegt waren und Wissenschaftlerinnen aus unterschiedlichen Disziplinen an ähnlichen Fragen arbeite-ten, kamen auch die Grenzen der einzelnen Disziplinen ins Spiel, die ihrerseits methodisch reflektiert sein wollten.

Dies führte dazu, dass die Forschung entlang der Kategorie gender einen anhaltenden Diskurs über die methodologischen Grundlagen, die Stärken, kritischen Potenzen und Grenzen des Begriffspaars sex/gender produzierte. Oft bestanden die Ergebnisse der Un-tersuchungen in neuen Fragen oder im Entdecken von neuen Paradoxien.


Die Zukunft von gender

Wenn Joan W. Scott die Verleihung eines Preises für Gender Studies an der Wende zum 3. Jahrtausend zum Anlass für eine radikale Infragestellung der Kategorie gender und zur erneuten Auslotung der Reichweite ihrer kritischen Potenzen nahm, knüpfte sie an den die Gender Studies begleitenden Diskurs über die unterschiedliche Deutung und die me-thodologischen Grenzen des sex-gender/Systems an. Das von ihr so düster gezeichnete Zukunftsbild könnte als Beleg gedeutet werden, dass die Anforderungen an die Qualität der Kritik nicht zurückgesteckt worden sind. Es wäre damit eher ein Grund zur Beruhigung als zur Beunruhigung. Auf der anderen Seite sind die Gründe durchaus schwerwiegend, die sie dafür anführt, dass die Kategorie gender die "jetzt anstehende Arbeit" nicht mehr zu leisten vermöge. Scott bezieht sich, wenn sie von der anstehenden Arbeit spricht, auf die Kritik des Wissenschaftsdiskurses, der im Rahmen des wachsenden Einflusses der Gentechnologie und der Fortschritte der Reproduktionsmedizin in den USA bereits zu großen Teilen von neodarwinistischen Evolutionstheorien beherrscht wird. Dies trifft auf die mit der Neuro-biologie verbundene Emotionsforschung ebenso wie die Evolutionspsychologie, die Mikrobiologie und die Informationstechnologie zu. Dieser Bewegung im Wissen-schaftsbetrieb sei, so lautet die These von Scott, mit der Kategorie gender nicht mehr bei-zukommen. Ihre Kritik an dem Begriff gender zielt auf zwei Punkte.

Der eine betrifft die bereits behandelte Verschleifung der Kategorie gender im Lauf ihrer Institutionalisierung, 11 die im Gebrauch von gender als Synonym für Frauen im Pro-gramm des "Gender Mainstreaming" kulminierte. In den USA hat dieser Prozess, wie Scott ausführt, schon sehr viel früher eingesetzt:

"In den Vereinigten Staaten (und in den Vereinten Nationen) ist gender zu einer Frage des allge-mein üblichen Sprachgebrauchs geworden und wird gewohnheitsmäßig als Synonym für Frauen dargeboten, für die Unterschiede zwischen den Geschlechtern, für das biologische Geschlecht. Manchmal steht der Begriff für die sozialen Regeln, die Männern und Frauen auferlegt werden, aber nur selten verweist er auf das Wissen, das unsere Wahrnehmungen von Natur organisiert. [...] Kaum jedoch wird danach gefragt, wie die Bedeutungen von 'Frauen' und 'Männer' diskursiv gebildet und verfestigt werden, welche Widersprüche diese Bedeutungen durcheinander bringen, was die Begriffe ausschließen, welche Variationen subjektiv erfahrener 'Weiblichkeit' in ver-schiedenen normativen Gechlechterregimes sinnfällig gewesen sind, welches der Zusammenhang ist - und ob es einen solchen gibt - zwischen gegenwärtigen wissenschaftlichen Auffassungen etwa über Kognition oder Evolution einerseits und Geschlechterdifferenz andererseits." 12

Der zweite Punkt von Scott zielt auf das sex-gender/Schema selbst. Die Unterscheidung eines kulturellen und eines biologischen Geschlechts lege, so Scott, die Annahme einer vermeintlich natürlichen Grundlage nahe, die übergeschichtlich und überkulturell sei und außerhalb des Bereichs des Wissens liege. Eben diese Annahme bilde die Einbruchstelle, welche es den Evolutionspsychologen erlaube, mittels einer schlichten Umdrehung von sex und gender, den Einfluss von gender zu relativieren und stattdessen auf die Bedeutung von sex, also des biologischen Geschlechts für die Erklärung von geschlechterdifferenten Verhaltensmuster zu verweisen.

Dies ist ein ernüchterndes Fazit. Also noch einmal die Frage: Muss die Kategorie gender als überholt aufgegeben werden?

Eine Alternative ist der Vorschlag, den Donna J. Haraway bereits 1986 for-mulierte: Statt die Spannung, die das Begriffspaar sex-gender erzeugt, aufzugeben, das biologische und das kulturelle Geschlecht als zwei unterschiedliche miteinander verfloch-tene Wissenssysteme verstehen zu lernen. Dazu gehört, die vermeintlich natürlichen Ge-gebenheiten mit ihrer Medialität und Historizität und ihren Ursprüngen aus Wissenschaf-ten, Ökonomie und Technik zu konfrontieren. Als Beispiel möchte ich daran erinnern, dass das Begriffspaar sex-gender seinerseits nicht in der "Natur" vorgefunden, sondern aus dem wissenschaftlichen Diskurs der sechziger Jahre über Sexualität und Intersexualität entnommen wurde. Da die von Haraway vorgeschlagene Rückbindung des sex-gender/Systems an zwei unter-schiedliche Wissenssysteme die Annahme unmöglich macht, es gäbe eine der Kultur voraus liegende Natur, die nicht ihrerseits Produkt eines wissenschaftlichen Systems - zum Beispiel der Biologie - sei, könnte dies die Kategorie gender entgegen Scotts Beden-ken doch zu der anstehenden Arbeit einer Kritik der reduktionistischen Spielarten biowissenschaftlicher, neurobiologischer und neodarwinistischer Theorien im gegenwärtigen Wissenschaftsdiskurs befähigen. Diese Kritik könnte denn auch leicht verbunden werden mit jenem Anliegen eines "verantwortungsvollen Umgangs mit der Kategorie Gender", der sich, wie die AutorInnen des Gender-Manifests betonen, der "Gender-Paradoxie" bewusst sei und "die Gleichzeitigkeit der Herstellung und Überwindung von Geschlecht zum produktiven Ausgangspunkt des Handelns" nehme.

Vor diesem Hintergrund sehe ich auch die politische Bedeutung eines kontinuierlichen europäischen Verständigungsprozesses über den Stand und die Struktur der Gender Studies in den unterschiedlichen europäischen Ländern. Wünschbar wären die weitere Ausarbeitung von Kooperationsprogrammen und internationalen MA-Abschlüssen und Promotionsprogrammen in Gender Studies. Wobei sich die Ausarbeitung dieser Gender Studies-Programme im akademischen Bereich ebenso wenig wie die im Berliner Gender-Manifest geforderte Gender-Praxis den homogenisierenden Tendenzen des Regierungsprogramms "Gender-Mainstreaming" beugen sollten. Die kritische Arbeit beginnt bei der Problematisierung und Verständigung der Implikationen dieses Regierungsprogramms und dessen Umsetzung unter den unterschiedlichen Bedingungen, die an unterschiedlichen Orten in Europa herrschen.


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Notes :

1. Der Vortrag ist in englischer Originalversion unter dem Titel "Millenial Fantasies. The Future of Gender in the 21st Century" (S. 19 - 38) und der deutschen Übersetzung (aus d. Amerik. v. Arni. Caroline) dokumen¬tiert in: Gender. Die Tücken einer Kategorie. Joan W. Scott. Geschichte und Politik. Hg. v. Honegger, Claudia u. Arni, Caroline. Zürich 2001, S. 39-64.

2. http://europa.eu.int/comm/employment_social/equ_opp/gms_de.html (download, 21.3.03).

3. Scott: Die Zukunft von gender, S. 58.

4. Scott: Die Zukunft von gender, S. 58.

5. Das Manifest wurde u. a. abgedruckt in: Switchboard. Zeitschrift für Männer und Jugenarbeit. Nr. 177/August-September 2006, S. 4-7. Der Text steht als PDF-Datei im WWW unter der Adresse: http://www.maennerzeitung.de

6. Scott: Die Zukunft von gender, S. 42.

7. Ann, Oakley: Sex, Gender and Society. London 1972.

8. Vgl. die Arbeiten des Sexualwissenschaftlers John Money und des Psychoanalytikers Robert Stoller.

9. Rubin, Gayle: The Traffic in Women: Notes on the Political Economy of Sex. In: Toward an Anthropology of Women. Hg. v. Rayna R. Reiter. New York 1975, S. 157 - 210.

10. Rubin: The Traffic, S. 159.

11. Die Disziplinierung der Gender Studies durch die Institutionalisierung beschreibt Sabine Hark in: Diszipliniertes Geschlecht. Konturen von Disziplinarität in der Frauen und Geschlechterforschung. In: Die Philosophin 23/01, S. 93 - 117.

12. Scott: Die Zukunft von gender, S. 59.


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